Wenn Nähe auf Freiheit trifft – und ich zwischen beiden Welten stehe
- Sabine Kuchler- Ordnung im Kopf. Psychologisches Coaching

- vor 1 Tag
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Aktualisiert: vor 8 Stunden
Eine Fallgeschichte: Wie in einer Beziehung zwei innere Kräfte lernen können, miteinander zu TANZEN

Es gibt diese Momente, in denen ich in einer Beziehung sitze – egal ob als Coach, Beobachterin oder als jemand, der selbst liebt – und ich spüre beide Herzen schlagen. Das des Nähe suchenden Typs, der Wärme und Verbundenheit atmet. Und das des unabhängigkeitsliebenden Typs, der Freiheit und Weite zum Leben braucht.
Und manchmal fühlt es sich an, als würde ich genau zwischen beiden stehen. Ein Fuß im Nest, der andere im offenen Feld.
Eine Fallgeschichte – und ich spüre beide Welten in mir
Anna und Leo sind seit drei Jahren ein Paar. Anna liebt tiefe Gespräche, über Emotionen, Verhalten, Bedürfnisse, körperliche Nähe, gemeinsame Abende. Sie sagt Dinge wie:„Wenn wir zusammen sind, fühle ich mich lebendig. Ich brauche dich nah.“
Leo dagegen braucht Luft zum Atmen. Er liebt Anna – keine Frage – doch zu viel Nähe macht ihn nervös. Er denkt:„Ich verliere mich, wenn ich zu nah herangezogen werde. Ich brauche meinen Raum.“
Er sagt dies aber nicht, sondern sagt ihr: Ich habe keine Zeit, ich habe Termine. Oder neigt "unbewusst" dazu, diese sogar zu vergessen.
Wenn Nähe auf Freiheit trifft, wenn sie streiten, spüre ich in mir beide Impulse gleichzeitig: Den sanften Ruf nach Verbindung – und den dringenden Wunsch nach Autonomie. Ich sitze mit ihnen, höre zu, und denke: „Das könnten genauso gut meine eigenen beiden Kräfte sein und meine Geschichte.“
Denn wir alle kennen diesen Zwiespalt. Manche stärker. Manche subtiler.
(Anmerkung: es gibt einen Slogan unter Coaches: du bekommst immer die Klienten, die grad zu dir passen, weil du vielleicht selbst damit noch ein Thema hast. Und das bewahrheitet sich immer wieder, denn auch ein Coach hat "Themen" mit blinden Flecken). Und das "Tanzen" muss ich auch besser lernen :-).
Beide erzählen mir ihre Geschichte: die so in der Art zwischen Ihnen immer und immer wieder passiert.

An einem warmen Frühlingstag saßen Anna und Jonas in einem kleinen, gemütlichen Café, umgeben von leisen Gesprächen und dem Duft von frisch gebrühtem Kaffee. Anna, die sich nach Nähe und Vertrautheit sehnte, blickte Jonas an und begann, über ihre Gefühle und die Zukunft der Beziehung zu sprechen. Sie sehnte sich nach einer emotionalen Verbindung, nach gemeinsamen Momenten und einer festen Verankerung. Sie hatten in paarmal über zusammenziehen gesprochen und Jonas hat nicht abgelehnt. Also hatte Anna begonnen schon einiges in ihrem Leben dafür vorzubereiten.
Jonas hingegen, der sich in seiner Unabhängigkeit wohlfühlte, spürte, wie die Worte Anna’s ihn immer mehr einengten. Er bekam kaum noch Luft und hatte nur einen heftigen Fluchtimpuls. Natürlich hatten sie über zusammenziehen gesprochen, aber "so schnell", "ausgerechnet jetzt" , "sie meint das wirklich ernst", rief regelrechte Panik in ihm hervor.
Er zog sich innerlich zurück, versuchte, die Distanz zu wahren, und seine Antworten wurden kürzer, seine Blicke flüchtiger. Das Gespräch wandelte sich in eine angespannte Stille.
Schließlich, als Anna weiter nachfragte und insistierte was denn jetzt Stand der Dinge sei, wurde Jonas’ Unbehagen zu groß. Er stand plötzlich auf, ließ einen Stuhl klappern und verließ das Café, ohne ein Wort zu sagen.
Anna blieb zurück und war fassungslos. Schon wieder. Jonas flüchtet ständig. Unvorhersehbar. Ihr Herz schwer vor Schmerz und Verwirrung. In diesem Moment brach für sie eine Welt zusammen, denn sie fühlte sich verlassen, nicht verstanden und zutiefst verletzt.
Jonas hingegen flüchtete um wieder durchatmen zu können und schämte und hasste sich dafür, wusste aber keine andere Reaktion, wenn ihm quasi das "Leben" abgeschnitten wurde, so wie er es dann wahrnahm.
So passierte dies immer und immer wieder.

Was passiert wirklich zwischen ihnen?
Es gibt 2 verschiedene Typen: Nähe und Autonomie. Der Nähe suchende Typ fühlt sich sicher, wenn er emotional verbunden ist. Der unabhängigkeitsliebende Typ fühlt sich sicher, wenn er frei ist.
Beide wollen dasselbe:SICHERHEIT
Nur auf völlig verschiedenen Wegen. Und sie wissen es nicht.
Und während ich mit Anna und Leo spreche, merke ich: Es ist nicht die Nähe und nicht die Freiheit, die Probleme machen –sondern die Angst dahinter. Angst sich ganz zu zeigen.
Wenn Nähe auf Freiheit trifft ist eine Beziehung genauso möglich wie Nähe mit Nähe oder Freiheit mit Freiheit. Alles hat eine eigene Dynamik.
Als Jonas das Café verließ, war sein Bedürfnis nach Unabhängigkeit nicht nur ein flüchtiger Impuls. In Wahrheit war es eine tief verwurzelte Angst vor zu viel Nähe, die ihn immer wieder zurückschrecken ließ. Jonas hatte in der Vergangenheit oft erlebt, wie enge Bindungen ihn einengen konnten, wie Freiheit und Selbstbestimmung dabei verloren gingen. Ein Gefühl, als ob er seine Identität nicht leben durfte. Schule, Eltern und mehr. Diese Erfahrungen hatten in ihm eine Art Schutzmechanismus geschaffen, der ihn dazu brachte, sich in schwierigen Momenten zurückzuziehen. Nicht im Job. Nur bei sozialen Kontakten, vornehmlich in Beziehungen. Diese waren ein eigentlicher Angstfaktor geworden. Verlust von Sicherheit, Verlust von Kontrolle der eigenen Emotionen, der eigenen Identität und gelernter Distanz. Jonas war sich klar, dass er da mal ziemlich weit zurückgehen musste in seiner Biografie um an die Wurzeln zu kommen.
Anna hingegen verkörperte die Sehnsucht nach Geborgenheit und Sicherheit. Ihr Wunsch nach Nähe war nicht nur ein Bedürfnis nach emotionaler Wärme, sondern oft auch ein Spiegel ihrer eigenen Verletzlichkeit. In ihrer Kindheit hatte sie vielleicht Momente erlebt, in denen sie sich allein und unverstanden fühlte, wenig Nähe da war und nur dann wenn sie etwas leiste. Ihre Suche nach Nähe war daher auch ein Weg, diese alten Wunden zu heilen und Stabilität zu finden.
Bei Zuviel des Guten sollte auch Anna mal weit zurückgehen und ihre Biografie sich ansehen.
Dies nahmen sie sich vor in jeweiligen Einzelgesprächen.

So entsteht in der Beziehung von Anna und Jonas ein Spannungsfeld der Ängste: Während Anna sich nach Sicherheit sehnt, fürchtet Jonas die Bindung. Diese Dynamik führt immer wieder zu Missverständnissen und Konflikten. Rückzug, Hinterherlaufen, nicht mehr geben wollen, rechthaben wollen usw. Jeder denkt, der andere will ihn umkrempeln, will eigentlich jemand anderes haben. Auch andere Bereiche wie Sexualität sind auf einmal betroffen. Es wird über nichts mehr gesprochen.
Sobald man sich dieses Spannungsfeldes bewusst wird, bietet es auch die Chance, ein tieferes Verständnis füreinander zu entwickeln, wenn beide bereit sind, an sich selbst und ihrer Beziehung zu arbeiten. Und mit Arbeiten ist ein pures Akzeptieren gemeint.
Ich war erstaunt, das die beiden sich grad an mich wandten, kannte ich dieses Nähe-Distanz- Spiel selbst nur zu gut in der Partnerschaft.
Verstanden hatte ich es aber viel später erst. Erst dann, als ich mich selbst begann zu verstehen.

Wege zur Balance
Es kam die Frage auf, ob sie sich trennen oder bleiben. Ich habe die Perspektive gewechselt, bin mal ganz Anna, dann wieder ganz Leo und hab mit ihnen einen Weg für den gemeinsamen Tanz erarbeitet. Denn das ist es. Ein TANZ. Mein Tanzbereich, dein Tanzbereich war schon ein Spruch in einem bekanntem Kinofilm. (Dirty Dancing)
Ich bat beide mal die Perspektive zu wechseln und die Wunden des anderen zu erkennen.
Problem: während Anna schnell dabei war, ihre Biografie anzuerkennen und erlerntes Verhalten und Geschichten von früher erzählen konnte, ist Jonas distanziert und sieht noch nicht ein, warum die Welt auch mit Gefühlen funktioniert und nicht nur über Kopf, Wissen und Kontrolle.
Warum Jonas sich Gefühle verbot ist ein ein anderes Thema, was hier noch erarbeitet werden muss und das steckt tiefer.
Beide vereinbarten vorerst folgendes und ich gebe dies hier als Idee heraus für andere:
Ich zeige, was in mir passiert – bevor ich reagiere
Bewusste Kommunikation: Beide Partner sollten lernen, ihre Bedürfnisse klar und respektvoll auszudrücken. Der Nähe suchende Typ kann lernen, auch eigene Grenzen zu setzen, während der unabhängigkeitsliebende Typ verstehen kann, dass Nähe nicht gleich Abhängigkeit und Verlust der eigenenb Identität bedeutet, nur weil jemand früher die Grenzen nicht respektiert hat.
Als Nähe suchender Teil in mir: „Wenn du dich zurückziehst, fühlt es sich an, als würdest du mich verlassen. Aber ich weiß, dass es deine Art ist, dich zu beruhigen.“
Als freiheitsliebender Teil in mir:„Wenn es zu eng wird, spannt sich alles in mir an. Ich brauche Abstand, um wieder ich selbst zu sein. Das hat nichts mit dir zu tun.“
Rituale schaffen – ohne einzuengen
Kleine, verbindende Rituale helfen beiden Seiten. Für den Nähe suchenden Typ geben sie Sicherheit, für den unabhängigkeitsliebenden Typ schaffen sie eine klare Struktur, die nicht überfordert. Das kann ein kurzer täglicher Check-in sein, ein gemeinsamer Kaffee am Wochenende oder ein fester Abend im Monat, an dem man bewusst Zeit miteinander verbringt – ohne Erwartungen, ohne Druck.
3. Innere Sicherheit statt äußere Kontrolle
Der Nähe suchende Typ darf üben, sich selbst Halt zu geben – nicht aus Angst vor Verlust, sondern aus innerer Stärke. Der unabhängigkeitsliebende Typ darf üben, sich selbst zu beruhigen, wenn Nähe ihn überfordert, statt reflexhaft Abstand zu nehmen. Beide wachsen dadurch emotional –jeder auf seine Weise.
Konflikte transparent machen, bevor sie groß werden
Missverständnisse entstehen oft, weil beide Typen unterschiedlich kommunizieren:
– Nähe suchende Menschen sprechen in Gefühlen.
– Unabhängigkeitsliebende Menschen sprechen in Fakten und Handlungen.
Frühe, klare Worte verhindern Dramen. Ein Satz wie:
„Ich ziehe mich gerade zurück, aber nicht wegen dir“
kann wahre Wunder wirken
!
Den Übersetzungsmodus einschalten
Beide Partner dürfen lernen, die Sprache des anderen zu verstehen:– Wenn der unabhängigkeitsliebende Typ sich zurückzieht, heißt das meist: Ich brauche Zeit, nicht: Ich liebe dich nicht.–
Wenn der Nähe suchende Typ nachfragt, heißt das meist: Ich will Verbindung, nicht: Ich kontrolliere dich.
5. Ich gebe dem anderen, was er braucht – aber nicht gegen mich
Nähe suchender Anteil:Ich bleibe bei mir. Ich sage, was ich brauche, aber ohne Druck. „Ich möchte dir nah sein – aber ich möchte dich nicht verlieren, indem ich zu viel fordere.“
Unabhängigkeitsliebender Anteil: Ich gebe nicht einfach auf.„Ich nehme mir Zeit für mich – aber ich melde mich verlässlich, damit du nicht ins Leere fällst.“
7. Ich erkenne meine Trigger – und spreche sie aus
Beide Typen haben typische Triggerpunkte:– Nähe suchende Menschen reagieren oft sensibel auf Distanz.– Unabhängigkeitsliebende Menschen reagieren sensibel auf Erwartungen.
Wer seinen Trigger kennt, kann ihn benennen.So wird aus einem möglichen Konflikt ein Moment der Verbindung.
Nähe suchender Anteil:„Mein Trigger ist, wenn du weggehst, ohne zu sagen, wann du wiederkommst.“
Unabhängigkeitsliebender Anteil:„Mein Trigger ist, wenn ich merke, dass du etwas von mir brauchst, obwohl ich gerade nichts geben kann.“
Durch diese Offenheit passiert etwas Magisches:Wir bewegen uns nicht mehr blind.
Körperwahrnehmung – statt nur Worte war auch eine Idee von Anna und Jonas:
Wenn ich merke, ich werde eng, klein, angespannt –dann sage ich nur einen Satz: „Ich brauche kurz einen Moment, um in meinem Körper anzukommen.“
Das nimmt sofort 50 % Druck aus der Situation.
Und ich? Ich habe verstanden, dass Liebe ein TANZ ist.
Wo ich doch sooooooo gerne tanze

Liebe ist stärker als Muster.
Sie ist geduldiger als Trigger.
Sie ist bereit, beide Welten zu halten.
Ich sitze in solchen Momenten da, höre beiden Teilen in mir zu – und sehe, wie Anna und Leo es lernen wollen. Ihre Biografie ansehen wollen:
Schritt für Schritt.
Mal fällt einer aus dem Gleichgewicht.
Mal der andere.
Aber sie kommen immer wieder zurück
Und am Ende…
Ich glaube, eine Beziehung – egal, ob Anna & Leo oder wir selbst – ist kein Kampf zwischen Nähe und Freiheit.
Sondern ein Tanz. Mal führe ich, mal lasse ich mich führen. Manchmal stolpern wir. Manchmal fliegen wir.
Ich merke jedes Mal, wie schön es ist, wenn beide Anteile in mir – und in einem Paar – aufhören, sich zu bekämpfen und anfangen, sich zu verstehen.
Denn dann geschieht das, worauf alle heimlich hoffen:
Nähe wird nicht mehr bedrohlich.
Freiheit wird nicht mehr einsam.
Und Beziehung wird endlich ein Ort, an dem beide atmen können.
Herzlichst
Sabine
Hallo.
Ich bin Sabine.
EMDR-Therapeut,
Traumacoach, Systemischer Coach und mehr und seit 35 Jahren begleitet mich die Numerologie und Hypnose in meiner Tätigkeit. Mehr über mich hier:
Ich bin dafür angetreten, dass Menschen sich selbst kennen, ihre Glaubenssätze lösen können und wieder Klarheitheit und innere Ruhe in sich selbst finden. Ohne Vergleiche, ohne Ängste. Einfach ihr Potential, Ihr Sein, Ihr Ich leben. Für Beziehungen und Beruf.






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